Ich steige an einem der letzten Enden Rixdorfs, nämlich an der Sonnenallee in die S-Bahn, es ist Abend gegen acht. Ich bin auf dem Weg zu den Dienstagspropheten, einer Institution in Friedrichshain, die allerdings zu 50% von Neuköllnern bestritten wird.
Die S-Bahn ist relativ voll, aber ich finde noch einen Sitzplatz, schaue um mich und stelle fest, dass in meiner unmittelbaren Nähe auffallend viele Menschen in Büchern lesen. Es sind, um genau zu sein, fünf weibliche Menschen im Alter zwischen 25 und 55 Jahren. Sie halten ihre Bücher so, dass ich keine Chance habe, einen Titel zu erkennen. Handtaschen und Häufchen aus Schals und Handschuhen dienen als Lesepulte, auf die die Taschenbücher gedrückt werden. Ja, es sind allesamt Taschenbücher, gebundene Ausgaben kann sich die Durchschnittsberlinerin schon lange nicht mehr leisten. Manche Taschenbücher scheinen außerdem aus einer Bücherei zu stammen, sie haben Patina und sind schon weichgeblättert. Die Bücher sind verschieden dick und haben etwa 180 bis 520 Seiten.
An der nächsten Station steigt noch ein lesender Mann ein. Na, ein Glück, der ahnt gar nicht, dass er gerade den Ruf seiner Geschlechtsgenossen gerettet hat.
Ich würde jetzt gerne auch ein Buch auspacken, aber ich habe keins dabei, denn ich fahre nur drei Stationen Kurzstrecke und ich dachte, das lohnt sich nicht. Nun muss ich bedauernd zugestehen: Lesen lohnt immer, - egal wie kurz!
Und das zeigt sich auch bei den Dienstagspropheten an jedem 3. Dienstag im Monat um 20:30 im Verlängerten Wohnzimmer, Frankfurter Allee 91
Neuköllner Alphabet
vor 1 Tag
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