Wenn ältere schwarzbraun verhüllte Damen liebevoll Stoffballen mit Leopardenimmitat streicheln, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass man sich entweder im Schnäppchenmarkt des altehrwürdigen Hertiegebäudes befindet oder auf dem Wochenmarkt am Karl-Marx-Platz. Die Angebotspalette auf diesem Markt schrumpft immer weiter zusammen, so wie es in der ganzen Gegend leider passiert. In der Karl-Marx-Straße gibt es außer einer Konditorei, einem Fotogeschäft und vielleicht noch ein, zwei weiteren kaum ein Fachgeschäft, sondern nur Kettenfilialen und Schnäppchenmärkte.
Auf dem Markt gibt es nur noch Obst- und Gemüsestände - was ja eigentlich prima, aber auch ein bisschen einseitig ist – und ergänzend dazu billige labberige Stoffe. Ebenda beobachten wir die dunkle pummelige Frau und ich stelle sie mir vor: ohne ihre Umhüllung und stattdessen im Leoparden-Coctail-Kleid mit langen, dunklen, lockigen Haaren, roten Schuhen und in der Hand ein Glas schwerer türkischer Rotwein. Dazu ein leckeres Stück Käse, aber so etwas kann man hier leider auch nicht mehr kaufen, denn Eier-Oeser hat seinen Stand mangels Kundschaft aufgegeben und nun, laut Auskunft einer jungen Frau, die mit ihrem Stand den frei gewordenen Platz übernommen hat und verschiedene Knoblauchgerichte feilbietet, gäbe es den Oeser-Käse auf dem Kreuzberger Markt am Maybachufer. Irrtum! Dieser Ort gehört hundertprozentig zu Neukölln!
Diesen Zuordnungsfehler gibt’s übrigens auch beim Karneval der Kulturen. Der findet zwar in der Ausführung fast ausschließlich auf Kreuzberger Boden statt, ist aber eine Urneuköllner Erfindung und wird auch nach wie vor von Neukölln aus in der Werkstatt der Kulturen organsiert!
Umgekehrt ist es mit Karstadt am Hermannplatz. Das gehört nämlich überhaupt nicht zu Neukölln, sondern hundertprozentig zu Kreuzberg.
Und wer das jetzt gerade nicht versteht, sollte noch mal einen Blick auf eine Karte werfen und wird sehen, die Grenze zwischen Neukölln und Kreuzberg geht ganz schön hin und her. Und so kommt es, dass die östliche Straßenseite des Kottbusser Damms und die südliche Straßenseite der Hasenheide zu Neukölln gehören und der Keil dazwischen bis runter zum Hermanplatz zu Kreuzberg. Da kann man schon mal durcheinander kommen...
PS: Ich habe übrigens nicht mehr mitbekommen, ob sich die Dame für einen Fetzen Leopard entschieden hat. Dazu dauerten mir die flüsternden Diskussionen mit den verschiedenen männlichen Familienmitgliedern zu lange und ich brauchte noch ein Brot, das es hier leider auch nicht gibt.
Neuköllner Alphabet
vor 1 Tag
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