Ja, nun schreib ich auch noch was dazu.
"Wie war denn das 1968?" Werde auch ich ab und zu gefragt, und ich sage immer wieder: Ich war noch ein Kind ohne jegliche politische Bildung, mit den inneren Kämpfen der beginnenden Pubertät beschäftigt und gerade dabei, die bis dahin mir verheimlichte Welt des Rock'n'Roll und der Beatmusik kennen zu lernen und was Tanzen für mich bedeuten könnte. (Apropos: Heute ist Internationaler Tag des Tanzes!)
Das was auf der Straße passierte, war nur eine Variation davon. Man übte sich in Körperkontakt, suchte einen gemeinsamen Rhythmus und machte seinen Gefühlen irgendwie Luft.
Auf der Straße zu stehen und rumzubrüllen glich Stammesritualen, bei denen man sich selbst als gut, gerecht und wahrhaftig erlebte, - das waren die Erfahrungen, die einem so schnell sonst keiner bieten konnte und die mit den Personen, deren Namen man brüllte, oder gar politischen Systemen, die dahinterstanden, überhaupt nichts zu tun, hatten aber einem Hauch von Freiheit und Unabhängikeit im eingemauerten West-Berlin.
Es gab kaum jemanden oder vielleicht sogar niemanden in meiner Jahrgangsstufe, der das, wofür man die Rhythmusgeber Mao Tse-Tung, Ho Che Minh oder Che Guevara aufrief, mit eigenen Worten hätte verständlich erklären können, denn in unsern Köpfen war Beatmusik und Flower-Power.
1968 war das Jahr, indem die ersten Jahrgänge der Walter-Gropius-Schule endlich aus der Notunterkunft in die ersten fertigen Gebäude am Löwensteinring einziehen konnten. Der favorisierte Namensvorschlag der Schüler war übrigens „Lord-Knud-Schule“ aber dazu sollte es, mit welchen Argumenten auch immer, nicht kommen.
Lord Knud symbolisierte viel eher die Welt, die die meisten von uns umgab und von ihm hätten wir uns vermutlich - wäre es auf eine Entscheidung angekommen – eher den Alltag bestimmen lassen, als von einem der drei obengenannten, von denen wir eigentlich gar nichts wussten – außer das Wort "Revolution" und wir ließen uns "Revoluzzer" nennen, weil das auch irgendwie lustig klang, so wie "Hippie" und nicht so negativ wie "Gammler". Denn im Grunde waren wir lustig und friedlich und wollten, wie alle Jugendlichen vor uns und nach uns auch nur unsern Spaß!
Rund um die Schule standen erst wenige der geplanten Gropiusstädter Hochhäuser, dazwischen Brache, Reste von Feldern und Gärtnereien, - ja, fast immer noch ein Leben auf dem Land, wenn sich da nicht die Großbaustellen immer mehr Raum gegriffen hätten und außenrum die Mauer nicht gewesen wäre. Aber letztere brachte meine Eltern, die neuerdings ein Auto besaßen, auf die Idee, im Sommer 1968 nach Prag zu fahren, um dort ein illegales Wochenende mit der Verwandtschaft aus der DDR zu verbringen. Verbotene Kassiber wurden ausgetauscht, es gab auch einen Mittelsmann in Michendorf und - Heidiwitzka! Das machte Spaß, wir drängelten uns zu neunt mit Luftmatratzen im Vierbettzimmer einer Prager Vorortpension und der Gastwirt drückte wissend die Daumen und alle Augen zu. Vati tauschte auf dem Schwarzmarkt Geld und Mutti ging mit den Kindern in den grünen Saal vom Esplanade , um Krabbentoast in exquisiter Umgebung zu essen. Das war eine Welt, wie sie uns gefällt! Dann ging es weiter ohne die Verwandtschaft drei Wochen in Familienurlaub nach Österreich und als wir zurückkamen, waren die russischen Panzer schon längst in der Tschechoslowakei. Irgendwelche Gastwirtsdeppen in Beilngries, bei denen wir übernachteten, versuchten uns Angst zu machen, dass wir eine Fahrt nach Westberlin garantiert nicht ohne Gefahren und einen möglichen Aufenthalt in einem finsteren Gefängnisloch in der sowjetischen Besatzungszone nicht überstehen würden.
Aber wo sollten wir sonst hin?
Und warum eigentlich? Weil wir vor drei Wochen in Prag waren? Hatte sich das schon rumgesprochen? Waren wir landesweit gesuchte Spione?
Am Ende waren wir heil in Westberlin angekommen und nichts war passiert.
Spannungs- und Stressabbau mit rhythmischem Gebrüll im Kreise einer solidarischen Gemeinschaft, draußen im Freien, wo es jeder mitkriegt ist genau das, worauf sich das Herz einer 13jährigen anschließend gefreut hat. Und außerdem schon lange nicht so verboten, als das, was die Eltern so alles angestellt haben!
Und wer ist eigentlich Lord Knud?
Ein Bericht über Lord Knud, "Der Abend" 29.09.1980 (mit Nachträgen)
Discjockey Lord Knud in Aktion, archiviert bei "einestages"
Die Lords bei Wiki
Die Internetseite der gealterten Lords - ja, es gibt sie immer noch, die legendäre Westberliner Band
und natürlich auch noch viele Fan-Seiten...
Neuköllner Alphabet
vor 1 Tag
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