Mittwoch, 3. Juli 2013

Rolfi


Zur Erinnerung an die Einführung der neuen Postleitzahlen habe ich zwei alte Texte ausgegraben, verfasst im Juli 1993, und etwas zusammengekürzt:

Neue Postleitzahlen, Postleitzahlen, Postleitzahlen, Postleitzahlen, Postleitzahlen (fünf). Ich kann's schon lange nicht mehr hören. Wie kann man sich nur so einen Schwachsinn ausdenken!!! Und mit diesem Schwachsinn haben sie uns so sehr bombardiert und genervt und abgelenkt von wichtigen Dingen, daß ich am Morgen des 1. Juli beim Hören der ersten Nachrichten im Radio völlig vor den Kopf geschlagen war, als sich die erste Meldung nun plötzlich gar nicht ,wie erwartet um Postleitzahlen, sondern um Gesetze zur Änderung der Asylverfahren ging. Beschlossen und besiegelt und ab eben jenem Tag gültig.

In der S-Bahn sitzen mir zwei junge Herren gegenüber, welche identisch gleiche buntbedruckte T-Shirts trugen. Ob sie nun aber zerstrittene Freunde, oder sich völlig fremde Personen waren, die sich nur zufällig nebeneinander gesetzt und dann mit Erschrecken festgestellt haben..., ich beschrieb es ja schon. Jedenfalls starren die beiden in die jeweils andere Richtung, der eine aus dem Fenster, der andere auf den Mittelgang. Manchmal jedoch drehen sie, wie auf Verabredung, langsam und vorsichtig die Köpfe zueinander, um sie dann schnell wieder zurückschnappen zulassen. Nach einiger Zeit unterlassen sie auch solche Blickwechselversuche, nicken, leicht schläfrig, ein wenig in ihrer Haltung ein, und ich stelle mir vor, daß sie bis nach Oranienburg fahren und dann mit völlig steifen Hälsen aussteigen.
Ich steige schon lange vorher aus und um, denn ich muss noch ein Geburtstagsmitbringsel besorgen.

Bei Tchibo gibt es ja wieder mal tolle Geschenkideen vom praktischen Gemüsehacker bis zum Melamintablett mit attraktivem Früchtedekor. Nur leider sind die kleinen Würfelradios schon wieder vergriffen, und die freundliche Verkäuferin möchte keine nachbestellen, da sie erst einmal die diversen Reisekoffer-Sets loswerden muß. "Die nehmen ja soviel Platz weg."
Vorschlag: vielleicht sollte sie einfach die vielen unnützen Kaffeepakete rausschmeißen, dann wären ein paar Regale frei. Und dann könnte sie alles vollstellen mit Würfelradios und ich würde gleich mindestens drei für Peter zum Geburtstag kaufen, und andere Leute vielleicht auch und zack, dann wäre schon wieder Platz für Kaffee. Aber auf mich hört ja keiner.
Und wer trägt den Schaden davon?
Peter, denn er be­kommt nun kein angemessenes Geburtstagsgeschenk in Form von Würfelradio-Drillingen.

Im Schalterraum der Post stehen heute fast nur Leute, die sich an den Geschlechtsteilen kratzen.
Ich schaue verärgert, aber höflich weg und verlasse die Anstalt. Postleitzahlen-Rolfi-Frisbees und Rolfi-Drachen kann man sowieso nicht kaufen, die sind alle nur für die Dekoration da.
Und für die neuen Postleitzahlen.
Sonst wäre das ja vielleicht auch noch eine hübsche Geschenkidee gewesen. Aber, da fällt mir ein, es gibt doch da noch so'n andern Rolfi, der wirbt für Kondome.
Da müßte doch vielleicht noch was zu holen sein!
Frische Kondome sind doch immer was feines, da kann man die alten, überlagerten endlich mal rausschmeißen.

Überlagert ist auch mein altes Poesiealbum voll mit braven Empfehlungen und Hinweisen, zum Beispiel schrieb eine Schulkameradin jenes:
Viel Hören, viel Schweigen, diese Kunst mach Dir zu eigen!
Zur freundlichen Erinnerung an Deine Schulkameradin

Nur doof.
Keine Quelle des Frohsinns und der Heiterkeit. Nicht mal lustige Schreibfehler kann ich entdecken. Im ganzen Poesiealbum nicht! Weil, wir haben ja noch richtig Deutsch gelernt. Wenn ich da in die "Freundschaftsbücher" heutiger Drittklässler schaue, sieht's schon ein wenig anders aus:

Name:                ROMINA 
Geburtstag:         Juni 6.
Haarfarbe:          Blont
Augenfarbe:        Blau
Besondere
Kennzeichen:      Somersch prosen
Lieblingsfächer:   Deutch Mate und Schport
keinen Spaß
macht:               Riligun und Basteln
Lieblingslehrer:   Fraru Raufuß
Hobbys:             schwimen
Berufswunsch:    ist Babie Haus
Lieblingsmusik
oder Gruppe:      Kinder-Hit-Perad.
                           meil kil-Scheksen
Lieblingsfilm:      Lila-laune-Ber
Lieblingsbuch:     Mikimaus und Eintife Brun.

Das ist doch was.
Da purzeln fröhliche Glücksradbälle auf uns herab. Für alle Blonden und Blauäugigen. Und die beiden jungen Männer in der S-Bahn. Und für alle, die schon mal Kontakt mit Außerirdischen hatten. Auch wenn man munkelt, daß diese Personen gar nicht so glücklich darüber seien, aber dann brauchen sie die Bälle um so mehr. Vielleicht könnten sie die wassermelonenköpfigen E.T.s zu einem Freundschaftsspiel überreden. Natürlich ohne Worte.

Und anschließend könnten sie dann zu Tchibo gehen, eine Tasse Kaffee im Stehen schlürfen und dabei einem nachgelieferten Würfelradio lauschen.

Außerirdische mögen sowas. Hab' ich in einer Statistik gelesen. Und weil's mir keiner glauben würde, hab' ich sie aufgehoben:
Erdlinge
in Biergärten sitzen
Ehrenmäler ansehen
Socken stricken
Außerirdische
Würfelradio hören
Werbegeschenke tauschen
 Postleitzahlen mischen

PS: Übrigens, der Werbespot mit den Kindern und den transzendentalen Zahlen hat mir gut gefallen.

PPS: Heute würde ich mich für einen anderen Spot entscheiden... 
Hier die Clips von sechs bekannten Autoren zum selbst entscheiden...

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