Was ist das für ein eigenartiges Wesen neben Karstadts Westportal (neulich auch an anderen Ecken in der Karl-Marx-Straße) mit Anorak, Rentnerkarre und Ghettoblaster, aus dem in grauenhaft verquetschter Klangqualität etwas schrillt, das nur durch intensive Retraumatisierung entfernt an „Hare Krishna – hare Rama“ erinnert - zuletzt live gehört in den Siebzigern, wo Dreiergrüppchen von barfüßigen, gelb-orange-gewandeten Glatzenträgern mit Rasseln und Glöckchen am liebsten an der Gedächtniskirche und am Ku-Damm ihr endloses Mantra sangen.
"Was sind das denn für eigenartige Wesen?" war auch damals die Frage und die Erklärung lautete: Das sind indische Bettelmönche. Auch wenn viele von ihnen bei genauerer Betrachtung gar nicht indisch aussahen. Wir betrachteten aber damals ungewöhnlichen Glatzen nicht genau und die leuchtenden Gewänder lenkten sowieso weit von der Realität ab, unterstützt von George Harrison und Ravi Shankar. Aha. Bettelmönche. Schön. Und sie singen den ganzen Tag. Wenn auch eintönig. Aber: nur böse Menschen kennen keine Lieder.
Das diese (meist europäischen) Glatzenträger auch damals schon gar nicht sehr viel mit dem indischen Glauben an Krishna zu tun hatten, sondern mehr mit einer anderen Methode, an Geld zu kommen, sprach sich nicht so schnell herum. Das eigenartige Wesen mit undefiniert grauem Wettergewand am Hermannplatz zeigt es uns aber etwas deutlicher: es singt nicht, es lässt singen. Oder sagen wir besser: es lässt unangenehme Geräusche machen. Und das zu dem einzigen Zweck, die wunderbaren Dinge aus seinem Rentnerrolli gegen Geld unters Volk zu bringen.
Ich frag mich allerdings: Wer traut sich überhaupt näher als drei Meter an das disharmonische Getöse heran, um dem schlechtgelaunten Eckensteher irgendwas abzukaufen?
Neuköllner Alphabet
vor 2 Tagen
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