Neukölln und ganz besonders Rixdorf mit dem alten Kern "Böhmisches Dorf" zählt zu den fahrradunfreundlichsten Gegenden Berlins. Von vorne bis hinten zugestopft mit historischem Straßenpflaster und mancherorts so hohen Bordsteinkanten, das man meinen könnte, sie sollen eine Homage an die Abwassergräben des 19. Jahrhunderts darstellen. Wenn man kein speziell darauf abgestimmtes Hightec-Bike besitzt, sondern ein ganz normales, schon etwas altersklappriges Fahrrad geht das nicht nur auf die Nerven , sondern vor allem auf die Felgen, und ganz besonders auf die Blase und die Wirbelsäule. Scheinwerfer fallen aus, weil Dynamos in die Speichen rutschen, die Schüttelmassage unterbindet jegliche Denkfunktion, die Hände sterben ab und das eingekaufte Marktgemüse hüpft fröhlich aus dem Korb auf die Straße, auf der eigentlich nur mit einem Höchsttempo von zehn Stundenkilometern gefahren werden darf, damit man die Kartoffeln gefahrlos wieder einsammeln kann, aber daran hält sich noch nicht mal die Polizei auf dem Weg zur Currybude. Richtig gefährlich wird's aber auch erst, wenn man mit dem Vorderrad zwischen zwei historische Pflastersteine rutscht und stecken bleibt...
Nun es gibt aber selbst in dieser malerischen Gegend auch zwei Möglichkeiten, um so etwas ähnliches wie einen Radweg zu benutzen, wohlgemerkt so etwas ähnliches! Die eine Möglichkeit findet man vor manchen Kreuzungen in der Karl-Marx-Straße, ist ungefähr 10 Meter lang mit einem weißen Fahrrad dekoriert und heißt Schutzstreifen. Aber nicht nur, dass der gewöhnliche Autofahrer es einem Radfahrer selten gönnt, sich von diesem Streifen schützen zu lassen, selbst eine Bande von drei dreisten Polizeidamen, die dort mit ihrem Streifenwagen herumtrödelten, erklärten mir anschließend ziemlich pampig und unangemessen kichernd, dass diese Spur für Radfahrer eben nur dann zur Verfügung stünde, wenn die Straße ansonsten leer sei.
Aha, und dann schützt mich der Schutzstreifen vor mir selbst?
Und warum ist da überhaupt ein Fahrrad draufgemalt?
Ich glaube, die drei waren nicht ganz nüchtern.
Die andere Möglichkeit befindet sich am nördlichen Ende der Richardstraße, die hier zwar eine Einbahnstraße, aber für Radfahrer laut Beschilderung in beiden Richtungen freigegeben ist. Das stößt nun aber keineswegs auf die Akzeptanz anderer Teilnehmer am Straßenverkehr, und dabei meine ich in diesem Fall noch nicht mal die Autofahrer, sondern - neben vielen anderen - ganz besonders zwei, diagonal über die Straße schlendernde blondierte Damen in dunkelblauen Kostümen (die dürfen sich jetzt direkt angesprochen fühlen!).
„Ey, hier is ne Einbahnstraße!!!“ brüllten sie zu mir herüber.
Ich guckte einigermaßen irritiert.
Das nächste Mal steig ich ab und schiebe mein Rad in die falsche Richtung und bei schönem Wetter biete ich dann mal einen Schilderinterpretationskurs für Anfänger an.
P.S. Noch vor einiger Zeit wohnte ich für ein paar Jahre in Nähe der Bergmannstraße in Kreuzberg. Da ist das mit dem historischen Straßenpflaster noch weiter verbreitet, aber (großes ABER!) da werden abgesenkte Bordsteinkanten selten zugeparkt und man empfindet Radfahrer nicht als persönliche Bedrohung. So verschieden können die Befindlichkeiten zwei so nah beieinanderliegender Bezirke sein. Man staunt!
Mehr Infos zum historischen Pflaster im und ums Böhmische Dorf bei der Morgenpost
Neuköllner Niederschrift
vor 2 Tagen
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