Obwohl ich den Karneval der Kulturen inzwischen nicht mehr gerne besuche, weil er zu einer touristischen Kommerzveranstaltung verkommen ist, bei der großmäulige, mit Multikulti- oder Urlaub-Strand-Kostümierung ausstaffierten Bierglas- und Weinbembelschwenker in dicken Schweiß-, Rostbrat- und Alkoholwolken drängeln, über die störenden Berliner meckern und selbst prompt von anderen Touristen als solche verkannt werden – obwohl also – bin ich heute trotzdem hingegangen, denn ein flamencogitarrespielender Jugendfreund trat dort mit seiner Gruppe Soléo auf, vorteilhafter Weise schon mittags um 12, wenn die meisten Touristen noch den Rausch vom Vorabend ausschlafen.
Soléo hatte Sängerin Carmen in Tänzerin Laura eingetauscht und Laura hatte auf der Stelle ihren größten Fan gefunden: 'King Mir-gehört-die-Wiese-ganz-alleine'. Er lag inmitten anderer Zuschauer allein auf eine recheckigen kleinen Wiese, niemand setzte sich zu ihm, er konnte sich bequem in der Sonne aalen, während die anderen auf Steinmäuerchen kauernd oder daneben stehend mit ihren Tanzbeinen wippten. Als Laura ihren ersten Auftritt hatte, stöhnte der King "mmmh, ooooh, die Frau besteht ja nur aus Erotik, die ist ja Erotik pur, da, guck hin", er sprach halb in Richtung anderer Zuschauer, die am Rand der Königwiese saßen, ließ den Blick aber nicht eine Sekunde von Laura. Kehlige Laute röchelten aus ihm heraus. "...chchchch Erotik, die ganze Frau ist Erotik!" Jetzt wussten es alle. Manche sahen mitleidig, andere beängstigt und wieder andere mit einem Hauch von Neid auf ihn herab. Ich gehörte zu denen, die eher belustigt grinsten. Im Laufe der Konzertstunde erreichte den King auf seiner Wiese schließlich ein bunt bedruckter Flyer mit einem Portrait von Laura. Sofort riss er Lauras Bild feinsäuberlich aus dem Prospekt, warf den Rest achtlos hinter sich, aber das Foto steckt er in die Brusttasche seines Hemdes und dort hielt er es fest an seinem Herzen.
Als das Konzert und Lauras Tänze dem Ende zuzugehen drohten, hielt ihn schließlich nichts mehr auf seiner Königswiese. Er sprang auf und ging seiner angebeteten entgegen bis dicht vor die Bühne, dorthin wo sonst nur tanzwütige Kinder herumhüpften. Ganz nah. Noch näher.
Vielleicht hat ihm ja Laura ein kleines Schweißtröpfchen spendiert, dann wird er sich jetzt einen weiteren Monat nicht duschen....
Wer den Flyer auch überreicht bekommen hat, wird sich wundern, dass er trotz des schönen aufwendigen Stadtplans das a compás nicht findet. Das liegt daran, dass eben dieses Ziel an der falschen Stelle eingezeichnet wurde...
Der kleine dunkelrote Punkt, auf den drei Pfeile zeigen, steht am falschen Ort.Der von mir raufgetuschte blaue Punkt zeigt dagegen das a compás mit angedeuteten Zugängen von der Hasenheide und der Körthestraße.
Hier nun noch ein paar Impressionen am Rande, in Form eines Kulissenblicks: Im Anschluss an Soléo - Flamenco y más: Polynesische Sumo-Tänzer kämpfen um die Gunst des Publikums. Und danach: Ein gut bewachter ungarischer Tanz in der Warteschlange.
PS: Der Karneval der Kulturen ist eine Neuköllner Erfindung auch wenn er überwiegend in Kreuzberg stattfindet, siehe grenzklärender Beitrag in diesem blog.
PPS: Beim ersten Mal 1996 zu Himmelfahrt gehörte ich selbst zu den Aktiven. Im weißem Rüschen- und Spitzenkostüm mit rosa und gelben Schleifchen. Herzallerliebst. Nachzulesen auf einer altvorderen Internetseite zum Thema Marathon.
PPPS: Die Kultur-Karnevalisten haben in diesem Jahr mal eben schnell und wahrscheinlich für wahnsinnig teures Subventionsgeld ihre Internetseite derart intensiv-verhässlichen lassen, dass man sich fragt, ob sie damit vielleicht auch den Touristenstrom etwas eindämmen wollen...
PPPPS: Die nächste wirklich nennenswerte mehrtägige Kulturveranstaltung Berlins findet wieder 100%ig in Neukölln statt, ganz intensiv natürlich auch in Rixdorf und sowas von kommerzfrei, dass man's kaum glauben will!
Es handelt sich hier um das 10. Kunst- und Kulturfestival '48 Stunden Neukölln'.
In Kürze mehr.
Neuköllner Wüste
vor 3 Tagen
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